Mutter bleibt Mutter

11.11.2022

„Adjektive streichen!“ – So lautet einer der wichtigsten Meistertricks, den ich in meinen Schreibseminaren vermittle. Ich sage dann immer: „Die ‚schlimme Katastrophe‘ ist nicht so schlimm wie ‚die Katastrophe‘. In diesem Fall klaut das ‚schlimme‘ nämlich die Betonung von der „Katastrophe‘.“

Eigentlich müsste ich sagen: „Überflüssige Adjektive streichen!“ Denn wenn sie unterscheiden oder bewerten, sollte, ja muss man Adjektive verwenden. Meine Beispiele: „die rote Hose“ oder „das tolle Buch“. Daher ist bei „Überflüssige Adjektive streichen!“ das Adjektiv „überflüssige“ nicht überflüssig! Denn man sollte eben nicht alle Adjektive streichen.

So, jetzt habe ich aber lange vor mir hergeschoben, was ich sagen will. Eigentlich will ich es gar nicht sagen, sondern nur präsentieren. Einen Satz aus einer Kurzgeschichte der amerikanischen Autorin Danzy Senna:

„No matter how badly, carelessly, halfheartedly, or unhappily one did it, you remained a mother. Bad mother, good mother, here mother, gone mother. The adjectives changed but the noun remained the same. You were a mother. There was no changing that.“

„Egal wie schlecht, verantwortungslos, halbherzig oder unglücklich du dich als Mutter verhalten hast, du bleibst eine Mutter. Schlechte Mutter, gute Mutter, die Mutter, die da ist, die Mutter, die gegangen ist. Die Adjektive änderten sich, aber das Substantiv blieb dasselbe. Du warst eine Mutter. Nichts konnte das ändern.”

(Danzy Senna: You Are Free, in: Dieselbe: You are Free. Stories, New York, NY, 137-157, hier: 146f. [Übersetzung von mir].)

Ich muss wohl nicht betonen, dass in dieser Kurzgeschichte von einer Mutter die Rede ist, die ihr Kind zur Adoption gegeben hat.

Und ja, auch ich finde, sie bleibt Mutter, egal was für Adjektive man ihr zuschreibt. Mutter bleibt Mutter.

Ich sehe gerade, ich bin allgemein geblieben. Daher ein neuer Anlauf:

Meine Mutter bleibt meine Mutter.

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